Diverse Fragestellungen, die ich in Beratungen immer wieder gestellt bekomme drehen sich um das Kalorien zählen. Etwa: Muss ich Kalorienzählen um abzunehmen? Ist Kalorien zählen sinnvoll oder überflüssig? Welche Vorteile hat es, wenn ich meine Kalorien tracke? Antworten auf diese Fragen sollen in diesem Beitrag gegeben werden. Wir werden uns die Vorteile und Nachteile des Kalorienzählens im Detail anschauen und am Schluss ein praktische Umsetzungsstrategie für den Alltag aussprechen.
Was bedeutet Kalorien zählen?
Fachsprachlich spricht man beim Kalorien zählen oft von Chronometer-Tracking. Seine Kalorien zu „tracken“, wie es so schön auf neudeutsch heißt, bedeutet nichts anderes als alle Lebensmittel und Getränke in Art und Menge zu erfassen, welche verzehrt werden und uns Energie in Form von Kalorien liefern (ggf. auch kalorienfreie wie Wasser). Brauchte man dafür früher Zettel, Stift, einen Nährwertatlas sowie einen Taschenrechner und Grundkenntnisse in der Mathematik, geschieht dies in der modernen Welt meist per App am Smartphone. Es gibt mittlerweile unzählige Anbieter mit tollen Chronometer Apps und verbundenen Lebensmitteldatenbanken wie FDDB, MyfitnessPal, Yazio uvm. Neben der Software braucht man ansonsten nur etwas mehr Zeit sowie eine Küchenwaage, um die jeweiligen Nahrungsmittel abzuwiegen. Die meisten verpackten Produkte sind in den Datenbanken gespeichert und können durch einfaches Scannen des Barcodes erfasst werden. Die meisten Apps bieten auch eine Schnittstelle zu Fitnesstrackern und Smartwatches an, wodurch der eigene Kalorienverbrauch am jeweiligen Tag entgegengestellt wird. Ohne Kopplung errechnet die App anhand der Biometrischen Daten wie Alter, Gewicht, Größe und dem jeweiligen Ziel (Zunehmen oder Abnehmen) den Kalorienverbrauch anhand einer Formel wie z.B. der von Harris-Benedict in Verbindung mit dem Aktivitätslevel (PAL-Wert). [1]
Im Folgenden wollen wir auf die Vorteile und die Nachteile des Kalorien Zählens eingehen:
Vorteile von Kalorien Zählen per App
- Spielend leicht: Im Vergleich zu der Zeit ohne Smartphones war das Tracken mit um einiges komplizierter und aufwändiger. Mit den modernen Apps kann das Ganze sogar Spaß machen und geht verhältnismäßig leicht nach einiger Zeit.
- Ernährungsbildung: Das reine Beschäftigen mit den aufgenommenen Lebensmitteln führt zwangsläufig dazu, sich Wissen, z.B. über Nährstoffzusammensetzung oder Brennwert anzueignen. Wer viel über Lebensmittel weiß, wird mit größerer Wahrscheinlichkeit auch gesundheitsfördernde Entscheidungen treffen. Sei es nur, dass von 2 zur Auswahl stehenden Produkten (Pizza A und Pizza B) das energieärmere und nährstoffreichere Produkt gekauft wird.
- Korrekte Buchhaltung: Das Offenlegen der tatsächlichen Kalorienaufnahme führt – auch aus meiner Erfahrung - gerne zu Überraschungen. Denn dass die meisten Menschen im Schnitt keine korrekten Angaben zur Nahrungsaufnahme machen können, ist gut belegt.[2] Meistens wird die eigene Kalorienaufnahme zu gering angegeben, dies nennt sich „Underreporting“. Selbst studierte Ernährungsberater geben Ihre Kalorienaufnahme zu gering an. In einer Studie mit je 10 weiblichen Ernährungsberatern und 10 Nicht-Ernährungsberaterinnen, die dazu angehalten wurden eine Woche lang Ihre Nahrungsaufnahme festzuhalten, gaben die Ernährungsberater im Schnitt 233 kcal/Tag zu wenig an, während die andere Gruppe 429 kcal/ Tag unter den Tisch fallen ließ. [3] Bei einem durchschnittlichen geplanten Kaloriendefizit von 300-500 kcal, was für eine moderate Reduktionsdiät üblich ist, kann dies den Fortschritt zu Nichte machen. Durch das Eintracken wirklich aller Lebensmittel über den Tag per Chronometer App bietet demnach die genaueste Methode, um die eigene Kalorienaufnahme offenzulegen.
- Reflektion und Selbstkontrolle: Ob mit sich selbst oder bei anderen macht keinen Unterschied: Wir sind oft nicht ehrlich und gestehen uns schlechte Verhaltensmuster oder Fehler ein. Die Form der Selbstkontrolle und Reflexion durch Kalorien zählen kann also Abhilfe schaffen.
- Verarbeitete Produkte und heimliche Dickmacher: Unser Belohnungssystem ist evolutionär immer noch auf eine hohe Dichte an den Makronährstoffen Zucker und Fett gepolt, da diese uns in Phasen der Nahrungsknappheit, welche früher gang und gäbe waren, viel Energie lieferten und so das Überleben sicherten. Heute sieht die Welt glücklicherweise anders aus, denn wir leben in Deutschland im Überfluss. Die Lebensmittelindustrie möchte Ihre Produkte bestmöglich absetzen, am besten geht das, wenn das Belohnungssystem des Konsumenten angesprochen wird – durch viel Zucker, Fett und Salz. Die meisten Menschen möchten sich aber im Grunde gesund ernähren. Folglich werden oftmals ungesunde, weil energiedichte Produkte mit den genannten „Geschmacksträgern“ bei gleichzeitig geringer Mikronährstoffdichte durch eine verlockende Verpackung und geschicktes Marketing als „Gesund“ verkauft. Beim Kalorien zählen wird nur auf die Hard Facts geschaut, die Auswahl der Nahrungsmittel wird so mit größerer Wahrscheinlichkeit gesünder ausfallen.
Was sind die Nachteile von Kalorien Zählen?
- Tracken von nicht Selbst zubereiteten Mahlzeiten schwierig: Bei Auswärts Essen, z.B. der Kantine im Büro, dem Grillen bei Freunden oder am Wochenende im Restaurant ist das genaue Abwiegen und Kalorienzählen schwer möglich. Es gibt zwar diverse Standardmahlzeiten und Vorschläge, aber wenn man wirklich genau Kalorien zählen möchte, geht das nur, wenn die Lebensmittel abgewogen und die Mahlzeiten selbst zubereitet werden.
- Ungenauigkeit der Nährwerte: Weitere Faktoren beeinflussen die Genauigkeit des Kalorien Zählens. So unterliegen Lebensmittel natürlichen Schwankungen, etwa je nach Sorte, Reifegrad oder Anbaumethode. Außerdem gibt es mittlerweile unzählige Nährwerttabellen und jede App hat verschiedene Angaben von Durchschnittswerten.
- Ungenauigkeit des Kalorienverbrauches: Auch der eigens geschätzte Kalorienverbrauch, den man als Grundlage für die tägliche Kalorienaufnahme nutzt, beruht auf Durchschnitten und Formeln, die aber nie genau die individuelle Situation des Einzelnen betrachten. Faktoren wie Hormonelle Situation (v.a. Schilddrüse, Stress (Cortisol)), Muskel-Fett-Verhältnis im Körper, Mitochondrienfunktion, allgemeiner Gesundheitszustand und sogar das Mikrobiom, die Darmflora (besonders das Verhältnis von Firmicutes zu Bacteroides), beeinträchtigen den Kalorienverbrauch bzw. die körpereigene Verwertung der Nährstoffe. [4]
- Eine Kalorie ≠ Eine Kalorie: „Du musst nur weniger zu dir nehmen als du verbrauchst um abzunehmen“. Diese Aussage hört man oft von Anhängern des Kalorien Zählens. Im Internet geboren wurde hierdurch der Leitspruch „IIFYM – If it fits you Macros“. Denn auf die Fragen vieler Menschen in Abnehm- und Fitness-Foren, ob Sie den Lebensmittel A oder B essen dürften, hatten die Moderatoren irgendwann keine Lust mehr ausführlich zu antworten und schrieben einfach dieses Kürzel, was so viel bedeutet wie „solange es in deine Makronährstoffverteilung passt“. Bei IIFYM kann man so theoretisch alles essen, solange am Ende des Tages die geplanten Mengen für Fett, Kohlenhydrate und Eiweiß erreicht und nicht überschritten werden. [5] Aber ist eine Kalorie wirklich = eine Kalorie? In der Theorie ja, aber in der Praxis gehört viel mehr zur richtigen Ernährung als nur die Kalorien, also die Makronährstoffe. Denn auch Mikronährstoffe (Vitamine, Mineralien, Spurenelemente, sekundäre Pflanzenstoffe & Ballaststoffe) sind essenziell für unseren Stoffwechsel und üben großen, positiven Einfluss auf Stoffwechselgesundheit, aber auch Hunger & Sättigung aus. In verarbeiteten Produkten finden wir wie bereits erwähnt genau das Gegenteil, denn der Hersteller hat mehr davon (Umsatz), wenn der Konsument mehr davon verzehrt. Die Studienlage ist hier ebenfalls eindeutig: Je mehr verarbeitete Nahrung verzehrt wird, desto höher das Risiko für Übergewicht. [6] Das Grundprinzip einer gesunden Ernährung sollte also lauten, sich möglichst naturbelassen zu ernähren - dann bräuchte man wohl kaum noch auf die „Makros“ zu schauen.
- Kann zwanghaftes Verhalten und Essstörungen begünstigen: Potenzielle negative Folgen für die psychische Gesundheit aufgrund einer übermäßigen Selbstkontrolle der Ernährung durch Kalorien zählen sind mittlerweile ein Thema diverser Untersuchungen. Denn das Risiko für Essstörungen scheint durch Tracken erhöht zu werden. [7] In einer Studie aus 2017 gaben etwa 75 % der 105 weiblichen Probanden die sich wegen einer Essstörung in Behandlung begaben an, Fitness Tracker zu nutzen und 73% waren der Ansicht, dass die Nutzung der App zur Entwicklung der Essstörung beigetragen hat. [8] Nicht jeder, der Kalorien zähl ist essgestört, aber die Anzahl der Essgestörten die Kalorien zählen ist verhältnismäßig hoch.
- Aufwand: Der Vorteil der Einfachheit lässt sich je nach Einstellung natürlich auch gegenteilig sehen. Wer nicht gerne mit Smartphones hantiert, der wird es so eher als lästigen Aufwand denn als Spielerisch leicht empfinden. Wenn also jemand mit einer solchen Einstellung zum Tracken dazu angehalten wird Kalorien zählen zu „müssen“ um abzunehmen, kann das für Ernüchterung sorgen.
Fazit: Muss ich Kalorien zählen um abzunehmen?
Je nach individueller Situation und Umsetzung macht Kalorien zählen definitiv Sinn, für einen kurzen Zeitraum. So ist es fester Bestandteil meiner Arbeit mit Klienten, in den ersten 4-8 Wochen Kalorien zu zählen. Ausgenommen sind Personen die aus einer Essstörung kommen oder ein zwanghaftes Ernährungsverhalten an den Tag legen, sowie die Gruppe der Smartphone-Verweigerer (hier sollte aber eine schriftliche Dokumentation einiger Tage erfolgen). Die Vorteile des Kalorien Zählens, besonders um abzunehmen, überwiegen: Für einen bestimmten Zeitraum die Nahrungsaufnahme zu erheben sorgt einfach für klare Verhältnisse und lässt Rückschlüsse über den Stoffwechsel des Nutzers zu. Reine Angaben über die Kalorienaufnahme sind schlicht zu ungenau. Außerdem ist der Mehrwert durch das Erlernen von Energiegehalten und Lebensmittelzusammensetzungen enorm, nach meiner Erfahrung profitiert hier jeder, der sich ernsthaft ein paar Wochen auseinandersetzt. Auch ist keine Tausendprozentige Exaktheit bei wenig energiedichten Lebensmitteln notwendig, denn ob nun 150 oder 170g Tomaten im Salat sind, fällt kalorientechnisch nicht ins Gewicht.
Nichtsdestotrotz gibt es natürlich auch Limitierungen und Kalorien Zählen ist nicht die eierlegende Wollmilchsau. Viele andere Faktoren sind für eine nachhaltig gesunde Ernährung wichtiger als die Kontrolle der zugeführten Makronährstoffe, denn leider wird das Kalorien zählen oft nur hierauf reduziert. Der Grundgedanke hinter IIFYM war, sich hauptsächlich aus unverarbeiteten, natürlichen Lebensmitteln zu ernähren um am Ende des Tages, wenn noch Platz im Kalorienhaushalt ist, sich auch mal einen Schokoriegel oder ein Eis zu gönnen. Die Umsetzung in der Praxis sieht dagegen oft anders aus – die Lebensmittelindustrie freut das natürlich. Aber Fett (Transfette) ist nicht gleich Fett (Omega-3-Fettsäuren), Kohlenhydrate (Zucker im Eis) sind nicht gleich Kohlenhydrate (Stärke in Kartoffeln) und Protein (Fleisch aus Weidehaltung) ist nicht gleich Protein (Soja oder Weizengluten).
Zudem ist der menschliche Stoffwechsel ist kein Ofen, in dem eine Kalorie gleich eine Kalorie ist. Für einen Menschen mit einem durchschnittlichen bis guten Magermasseanteil, normalen Körperfettanteil, niedrigem Stresslevel, ausgeglichenem Mikronährstoffhaushalt, gesundem Darm und gesunden Zellen ohne Schwermetallbelastung und ausreichend Bewegung mag dies zutreffen – aber wie viele die mit Kalorien zählen anfangen sind in dieser Verfassung (bzw. überhaupt) ? Auch aus meiner praktischen Erfahrung und der Arbeit mit Klienten bin ich immer wieder erstaunt, wie wenig manche Menschen essen und trotzdem nicht abnehmen können, da der Stoffwechsel aus dem Lot geraten ist. Hier gilt es, zunächst diesen wieder in Gang zu bekommen – durch eine Ernährung auf Grundlage der 10 Bausteine für eine nachhaltig Gesunde Ernährung, Lifestyle-Anpassungen, Sport/Bewegung und gezielten Supplements. Mehr dazu erfährst du hier
Welche APP soll ich fürs Kalorien zählen nutzen?
Von den diversen am Markt erhältlichen Apps sind nahezu alle zu empfehlen. Hier empfiehlt es sich, eventuell ein paar Apps mit einem kostenlosen Account auszuprobieren und sich dann für diejenige, dessen Benutzeroberfläche einen am meisten anspricht, zu entscheiden. Dann macht dann auch ein kostenpflichtiger Premium-Account definitiv Sinn.
Für meine Arbeit mit Klienten nutze ich die App Nutrilize, welche speziell für das Coaching konzipiert wurde. Wir sind über die App verbunden, können chatten und Dokumente versenden. Ich kann Rezepte aus meiner Datenbank individuell anpassen und freigeben, ganze Ernährungspläne oder Beispieltage erstellen und neben der Nahrungsaufnahme weitere Metriken wie Körpergewicht, Energie- und Stresslevel verfolgen. Ein echter Mehrwert in der Zusammenarbeit! Für meine Klienten ist der Premium Account kostenfrei.
Nutrilize Premium Account
- Intuitive Bedienung
- Chat Funktion und direkte Verbindung mit mir - das perfekte Tool fürs Coaching
- Individuelle Rezepte & Mahlzeitenpläne nach deinem Geschmack
- Ausführliche Beschreibungen
- Genaue Mengenangaben auf dich abgestimmt
- Buchhaltung z.B. von Körpergewicht, Schlaf, Wohlbefinden
Quellen, Referenzen & weiterführende Literatur:
[1] https://www.smart-rechner.de/kcal_bedarf/rechner.php
[2] Yanetz R, Kipnis V, Carroll RJ, Dodd KW, Subar AF, Schatzkin A, Freedman LS. Using biomarker data to adjust estimates of the distribution of usual intakes for misreporting: application to energy intake in the US population. J Am Diet Assoc. 2008 Mar;108(3):455-64; discussion 464. doi: 10.1016/j.jada.2007.12.004. Erratum in: J Am Diet Assoc. 2008 May;108(5):890. Kipnis, Victor [added]. PMID: 18313427. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/18313427/
[3] Champagne CM, Bray GA, Kurtz AA, Monteiro JB, Tucker E, Volaufova J, Delany JP. Energy intake and energy expenditure: a controlled study comparing dietitians and non-dietitians. J Am Diet Assoc. 2002 Oct;102(10):1428-32. doi: 10.1016/s0002-8223(02)90316-0. PMID: 12396160. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/12396160/
[4] Kassaian N, Feizi A, Rostami S, Aminorroaya A, Yaran M, Amini M. The effects of 6 mo of supplementation with probiotics and synbiotics on gut microbiota in the adults with prediabetes: A double blind randomized clinical trial. Nutrition. 2020 Nov-Dec;79-80:110854. doi: 10.1016/j.nut.2020.110854. Epub 2020 May 19. PMID: 32615392. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32615392/
[5] https://science-fitness.de/ernaehrung/iifym
[6] Askari, M., Heshmati, J., Shahinfar, H. et al. Ultra-processed food and the risk of overweight and obesity: a systematic review and meta-analysis of observational studies. Int J Obes 44, 2080–2091 (2020). https://doi.org/10.1038/s41366-020-00650-z
[7] Simpson, CC. / Mazzeo, SE. (2017): Calorie counting and fitness tracking technology: Associations with eating disorder symptomatology. In: Eat Behav. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28214452/
[8] Levinson CA, Fewell L, Brosof LC. My Fitness Pal calorie tracker usage in the eating disorders. Eat Behav. 2017 Dec;27:14-16. doi: 10.1016/j.eatbeh.2017.08.003. Epub 2017 Aug 18. PMID: 28843591; PMCID: PMC5700836. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28843591/